Seit dem 1. September ist Hendrik Ismar Bundesstützpunkttrainer in Kiel-Schilksee. Im Interview spricht der studierte Mediziner über die Ziele für die ersten 100 Tage, die Faszination des Trainerberufs und die Glücksmomente seiner Arbeit.
Am Anfang war das mangelnde Fußballtalent. Weil Hendrik Ismar „immer mehr linksdraußen als linksaußen“ kickte, durfte er mit neun Jahren an einer Opti-Schnupperwoche auf dem heimischen Möhnesee im Sauerland teilnehmen. Nach dem Schnuppersegeln war er „komplett geflasht“, so sehr, dass er auch seine zwei Brüder mir der Segelbegeisterung ansteckte.
Es folgte der klassische Dreiklang von Opti, 420er und 470er, zeitweilig mit Bruder Philip zusammen im Bundeskader. 1998 dann die Frage: Leistungssportkarriere oder Berufsausbildung? Schweren Herzens gab Hendrik Ismar dem Medizinstudium den Vortritt – „damals waren die Strukturen noch anders als heute, es gab weder eine Laufbahnberatung noch eine Kooperation mit der Universität“. Neben dem Studium begann er als Vereins-, später als Landestrainer zu arbeiten, was sich nach dem Einstieg ins Berufsleben fortsetzte.
Peu à peu nahm die Trainertätigkeit mehr Raum ein, und 2015 kam Hendrik Ismar nach Stationen als Trainer einer Match Race-Olympiakampagne und als Nachwuchstrainer des Laser-Nachwuchses als Juniorentrainer der 470er an den Bundesstützpunkt Kiel-Schilksee. Die Arbeit mit den 470er-Nachwuchstalenten war sehr erfolgreich: Elf Medaillen von fünf verschiedenen Teams bei Junioren-Welt- und Europameisterschaften lautet die Bilanz. Nun steht für Hendrik Ismar der nächste Schritt an: Als Bundesstützpunkttrainer ist er für den reibungslosen Ablauf am Bundesstützpunkt Kiel zuständig.
Interview mit Henrik Ismar
DSV: Hendrik, herzlichen Glückwunsch zur neuen Aufgabe! Vor dir war Achim Hantke über 30 Jahre am Bundesstützpunkt tätig. Wie groß fühlen sich die Fußstapfen an?
Hendrik Ismar: Ich habe großen Respekt vor dem, was Achim am Bundesstützpunkt erreicht hat. Was er in den letzten Jahrzehnten an beständiger Arbeit geleistet hat, teils gegen Widerstände, mit Feinfühligkeit und diplomatischem Geschick, das erfordert hohe Achtung. Achims Arbeit fand viel im Hintergrund statt, und auch ich habe erst in den letzten Jahren durch die vermehrte Zusammenarbeit einen Eindruck davon bekommen, was in dieser Position eigentlich geleistet wurde.
Insofern sind die Fußstapfen groß. Meine neuen Aufgaben umfassen jedoch auch zahlreiche andere Bereiche, sodass die Arbeit nur schwer direkt mit der von Achim vergleichbar sein wird. Ich bin mir jedoch sicher, dass ich schnell zur Zufriedenheit aller an den richtigen Hebeln ansetzen werde.
DSV: Hast du konkrete Ziele für die ersten 100 Tage?
Hendrik Ismar: Auf jeden Fall. Nachdem wir ins Gespräch kamen, ob ich Bundesstützpunkt-Trainer werde, habe ich lange überlegt. Denn wenn ich etwas anfange, dann stecke ich mit Haut und Haar darin. Als die Entscheidung feststand, habe ich sofort begonnen, Ideen zu entwickeln. Einige stehen zum Teil noch mehr oder weniger als Überschriften da und müssen mit Inhalten gefüllt werden, andere sind schon sehr konkret.
Was sofort beginnt, ist das Tagesgeschäft in der Führung und Kontrolle des gesamten Bundesstützpunktes. Sehr konkret steht die erste Sichtung für den Bundesnachwuchskader an, bereits in weniger als zwei Wochen.
Mit allen, die am Bundesstützpunktsystem beteiligt sind, möchte ich in den kommenden Wochen und Monaten intensive Gespräche führen. Damit meine ich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ebenso wie beispielsweise die Stadt Kiel und die Hafenmeister. Mit liegt viel daran, alle nach den vielen positiven Gesprächen in der Vergangenheit auch mit mir in Zukunft mit ins Boot zu holen. Ich bin der festen Überzeugung, dass man aus dem Bundesstützpunkt noch viel viel mehr Potenzial schöpfen kann, was allen Sportlern und Trainern und damit dem Gesamterfolg des German Sailing Teams extrem helfen kann.
DSV: Welche Potenziale fallen dir spontan ein?
Hendrik Ismar: Im Alltagsgeschäft und in den internen Prozessen gibt es viele Kleinigkeiten, die auf jeden Fall besser ineinandergreifen können und ohne großen Aufwand geändert werden können. Zum Beispiel könnte die Zusammenarbeit zwischen Trainer und Sportler in der Halle sowie das tägliche Training durch einige kleine Veränderungen deutlich optimiert werden.
DSV: Wie wichtig ist die Zusammenarbeit mit den Landesseglerverbänden?
Hendrik Ismar: Das ist ein elementarer Punkt der Arbeit. Als Bundesstützpunkttrainer bin ich für die Landeskadersportler die Schnittstelle zum Spitzenverband.
Ziel der Arbeit ist, dass Talente frühzeitig erkannt und in den Ländern gefördert werden, sich in besonders leistungsstarken Landestrainingsgruppen weiterentwickeln und dadurch leistungsauffällig werden in Richtung Bundesstützpunkt Kiel.
Sehr wichtig für diese Förderstruktur sind die Bundesstützpunkte mit Schwerpunktsetzung Nachwuchs, weil man dort Trainerkollegen hat, die noch mehr als die Landestrainer auf die Hinführung dieser Talente auf den Bundesstützpunkt Kiel hinarbeiten. Ich hoffe sehr, dass es gelingt, dieses System zu erhalten und den BSP Kiel weiter auszubauen und zu optimieren. Als ersten Schritt werde ich die Bundesstützpunkte in Berlin, Warnemünde und Friedrichshafen besuchen und mir anschauen, wie dort gearbeitet wird.
DSV: Für die Zusammenarbeit kommt dir sicher zugute, dass du selber als Landestrainer tätig warst.
Das glaube ich auf jeden Fall. Ich glaube, es schadet niemandem, an der Basis im Verein anzufangen und sich dann nach oben zu arbeiten. Dadurch hast du alle Bereiche einmal gesehen und hast mehr Verständnis für alltägliche Herausforderungen.
Ich finde es wichtig, ab und zu einen Schritt „back to the roots“ zu machen. Zum Beispiel macht es mir großen Spaß, von Zeit zu Zeit die Optigruppe meines Patenkindes zu trainieren, Bei dieser Basisarbeit werden mir immer viele Dinge wieder gegenwärtig, die sich auch mit den Sportlern des Bundeskaders trainieren lassen. Damit meine ich ganz einfache Basisübungen wie zum Beispiel das Peilen einer Startlinie.
DSV: Du hast fast sechs Jahre die 470er Junioren trainiert. Wirst du deine Trainingsgruppe vermissen?
Hendrik Ismar: Ja! Ich habe in den vergangenen Jahren im 470er immer mit sehr positiven Menschen zusammengearbeitet, mit denen die Arbeit Spaß gemacht hat. Es war nicht immer so, dass man lächelnd vom Hof ging, es war auch harte Arbeit und es wurden teils unpopuläre Entscheidungen gefällt. Aber ich glaube, am Ende hat es allen Spaß gemacht und es war eine „geile Zeit“. Ich war nach der Junioren-WM sehr gerührt, als alle Sportler mir eine Karte und ein Bild überreicht haben, das sie haben drucken und rahmen lassen. Das war ein toller Abschluss, der mir auch gezeigt hat, dass trotz allen Fleißes, aller Entbehrungen, allem, was ich von ihnen verlangt habe – oft bis über die absolute Erschöpfung hinaus – alle die Zusammenarbeit gut fanden.
Die Arbeit auf dem Wasser wird mir ordentlich fehlen; sie war für mich bislang das Salz in der Suppe. Die Momente, wenn nach Monaten anstrengender Wasserarbeit bei Wind und Wetter endlich die ersehnte Medaille steht, die waren für mich immer magisch. Ich habe so manches Mal die Flotte in den Hafen fahren lassen und bin auf dem Motorboot noch einen Augenblick draußen geblieben. Denn das sind die Momente, auf die man das ganze Jahr lang hinarbeitet.
In meiner neuen Position möchte ich dafür sorgen, dass andere ähnlich viel Spaß beim Training haben, Sportler ebenso wie Trainer, und daraus im Idealfall Medaillen erwachsen. Ich bin sicher, dass mir diese Arbeit genau so viel Spaß macht und zu einem positiven Gefühl beiträgt, wie es bei der Wasserarbeit der Fall ist.
DSV: Als großes Ziel steht hinter allem ja auch immer die Zahl 2024…
Hendrik Ismar: Ja, genau. Es wäre natürlich schön, einige der Junioren, die aktuell auf Landes- oder Bundesebene trainieren, bei den Olympischen Spielen 2024 oder 2028 zu sehen. Ich werde mich sehr freuen, wenn die Sportler ihren Weg zu Ende gegangen sind und am Ende vielleicht sogar eine Medaille gewinnen.
Im Juniorenbereich ist es unsere Aufgabe, Talente zu erkennen und sie ins Fördersystem zu integrieren. Dazu gehört jedoch auch, die Sportler ab einem gewissen Zeitpunkt an die Seniorentrainer zu übergeben – ohne den Versuch, als Trainer mit aufzusteigen. Alle Juniorentrainer, die ich kennengelernt habe, tragen dieses System sehr gerne mit. Sie entwickeln die jungen Talente bis zu den ersten Medaillen im Juniorenbereich, und geben diese dann für den Feinschliff und die Kampagnenbegleitung gerne weiter an die Seniorentrainer.
Es ist allen Beteiligten klar, dass wir bis zum Ende der Juniorenzeit alles dafür tun, dass die Sportler auf einem möglichst hohen Niveau übergeben werden, das wirklich Weltspitze ist. Wenn man das schafft – das zeigt die Erfahrung der letzten Jahre und Jahrzehnte immer wieder – dann haben die Sportlerinnen und Sportler auch gute Karten im Seniorenbereich.
DSV: Wie wichtig ist dir der Blick über den Tellerrand auf andere Nationen und auch andere Disziplinen?
Hendrik Ismar: Es ist immens wichtig, immer wieder über den Tellerrand zu blicken. Nur auf diese Weise erfährt man von neuen Entwicklungen ebenso wie von abschreckenden Beispielen, wie man es nicht machen sollte. Und eventuell stellt man sogar fest, in einem Bereich Trendsetter zu sein. Uns Seglern schadet es auch nicht, andere Sportarten im Blick zu behalten. Ich habe beispielsweise im Januar ein Praktikum beim Fußballclub Holstein Kiel gemacht und durfte das Trainerteam eine Woche lang begleiten. Obwohl wir beim Segeln nie Fußball spielen, außer vielleicht mal beim Aufwärmen, hat mir diese Hospitanz extrem viel gebracht. Als Beispiele kann ich Teamführung und die Ansprache an die einzelnen Spieler nennen.
Ich glaube, dass Neugier und Offenheit elementar in allen Bereichen sind, die in irgendeiner Form Spitze sind, sei es nun Technologie, Wirtschaft oder eben der Sport.
DSV: Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg im neuen Job!
Interview: Lina Nagel