Das German Sailing Team ist auf Kurs Enoshima auf die Zielgerade eingebogen. Und mit der Mannschaft auch ihr Olympic Performance Manager Marcus Lynch. Gleichzeitig als Nacra-17-Disziplinentrainer für Paul Kohlhoff und Alica Stuhlemmer im Einsatz, wahrt Lynch auch in fordernden Pandemie-Zeiten den Überblick und arbeitet an der Seite von DSV-Sportdirektorin Nadine Stegenwalner daran, die deutschen Olympiaseglerinnen und -segler sicher und erfolgreich zu den Spielen der XXXII. Olympiade zu bringen.
„Ich bin konstant in Kommunikation mit der Sportdirektorin und den anderen Disziplinentrainern“, beschreibt Lynch seinen Aktionsradius, „es geht um die Optimierung der Arbeit in jeder Disziplin und die komplexe Gesamtplanung für die Olympischen Spiele, die immer wieder neu justiert werden muss.“ Die Zwischenbilanz des Briten fiel zu Saisonbeginn vielversprechend aus: „Es ist klar, dass wir Segler im Team haben, die ihre Podiumsqualitäten schon unter Beweis gestellt haben.“ Ebenso klar sagt Lynch: „Diese Spiele werden anders als das, was wir kennen. Ein entscheidender Faktor wird sein, wie die Athleten mit Hindernissen auf ihrem Weg umgehen. Wichtig wird sein, Störungen auszublenden und sich auf die Regatta konzentrieren zu können.“
Medaillen-Könner und Katamaran-Experte
Der 38-jährige Marcus Lynch, der bei den Paralympics 2012 und 2016 als Coach mit britischen Crews jeweils Bronze gewinnen konnte, ist überzeugt, dass die deutschen Seglerinnen und Segler olympisch stark durchstarten werden: „Alle arbeiten konzentriert, die Vorfreude wächst und ist positiv spürbar. Die olympische Realität rückt näher.“ Das von ihm selbst trainierte Mixed-Katamaran-Team Kohlhoff/Stuhlemmer habe, so Lynch, das vergangene Jahr optimal genutzt: „Wir gehörten zu den ersten, die ihr Trainingslager auf Lanzarote aufgeschlagen haben. Bei wenigen Pausen haben wir dort fünf Monate gearbeitet und das gesamte Trainingsvolumen reinbekommen. Paul und Alica haben im zurückliegenden Jahr bei allen Coach-Regatten und den vier Events durch ihre guten Leistungen Selbstbewusstsein aufgebaut. Sie segeln sehr gut und sind sehr fit. Sie agieren auf Augenhöhe mit den Weltbesten, wenn sie ihr Potenzial abrufen.“
Zum Olympiarevier gibt Lynch ein wichtiges Stichwort: „Mustererkennung wird gefragt sein! Die Bedingungen können sich zwar von Tag zu Tag ändern, tun es aber selten innerhalb eines Tages. Beginnt der Segeltag mit ablandigen, drehenden Winden, dann sind das in der Regel die Bedingungen, nach denen man seinen Tag priorisieren sollte.“ Die interessante Beobachtung kommt von einem, der in einer Herzschlagkammer des internationalen Segelsports großgeworden ist. Ganz in der Nähe von Hamble, gegenüber der legendären Isle of Wight, wo einst der America’s Cup geboren wurde, hat sich Lynch in den Sport verliebt. Ein Freund hatte ihn im Alter von sieben Jahren zur gemeinsamen Teilnahme an einem Ferien-Segelcamp überredet. „Die Erlebnisse auf dem Wasser, der Kontakt mit den Elementen und dieses Gefühl der großen Freiheit haben mich total fasziniert“, erinnert er sich an die ersten Stunden auf dem Wasser. Dem Segeln blieb er erst als Leistungssportler und als Coach treu. Der Freund, dem er die folgenreiche Premiere in Kindheitstagen verdankt, wurde später sein Trauzeuge.
Marcus Lynch: „Bildung ist für mich etwas Elementares“
Der junge Marcus Lynch erwies sich nach den ersten Erfahrungen im Kinderboot Topper schnell als Talent. Bei den Laser-Radial-Jugendweltmeisterschaften 1999 machte ihm der damalige Jugendprogramm-Manager der Royal Yachting Association (RYA) ein verlockendes Angebot: Gemeinsam mit einem weiteren Laser-Radial-Segler sollte er die Klasse wechseln und Kurs auf die Hobie-WM nehmen. „Das war damals meine erste richtige Kampagne auf einem Katamaran. Das Ganze ist dann in der Folge ziemlich schnell eskaliert“, erzählt er grinsend, meint damit seine Vorliebe für rasante Zweirümpfer.
Seglerisch im Netley Sailing Club am Solent großgeworden, startete Lynch mit 18 Jahren im damals olympischen Tornado durch. Parallel zählte er mit Steuermann Rob Wilson zu den weltbesten Formula-18-Teams. Den WM-Titel 2009 verpassten sie bei Punktgleichheit schmerzlich knapp. Im Tornado aber reichte die Zeit zum Sprung an die in England dicht besetzte Spitze nicht mehr. Der Tornado wurde nach 2008 aus dem olympischen Programm gestrichen. An diesem Punkt entschied sich Lynch vergleichsweise früh für eine zweite Karriere als Trainer. „Daran hat auch meine Mutter Sue ihren Anteil“, erklärt er, „sie bildet Lehrer aus. Bildung ist für mich etwas Elementares.“
Erst gelernt, dann gelehrt: Lynch ist Coach aus Berufung
Lynch selbst hat sein Wissen schon im Alter von 14 Jahren im Wassersportzentrum Spray Water Sports an andere weitergegeben und sich damit Geld fürs eigene Segeln verdient. Gelehrt und selbst gelernt hat Lynch als Coach für das internationale Team Oman Air in der Extreme Sailing Series. Gearbeitet hat er mit Top-Seglern wie Morgan Larson, Leigh McMillan, den Matchrace-Weltmeistern Phil Robertson und Adam Minoprio. „Ich empfinde es als Privileg, mit erfahrenen Leuten arbeiten zu dürfen“, sagt Lynch. Nach gut 16 Jahren als Segler und Trainer unter RYA-Dach wechselte Lynch auf der Suche nach einer neuen Herausforderung vor gut vier Jahren zum Deutschen Segler-Verband. Die Kommunikation läuft in englischer Sprache. „Ich verstehe mehr Deutsch als ich spreche“, sagt Lynch und erzählt, dass er in der Schule Deutsch gelernt hat und Hamburg wie auch Kiel schon mit 17 Jahren bei einem Schüleraustausch kennenlernen durfte, weil die Gastfamilie ein Boot hatte.
Heute markiert der Bundesstützpunkt Segeln den Heimathafen seiner Athleten. „Ich mag es, weil es so vielseitig ist. Man kann hier sehr gut trainieren, hat einfach alles, was man braucht: ein gutes Team, ein super Büro, einen tollen Athletikraum und ein weltbekanntes Segelrevier vor der Tür.“ Wenn der ebenso begeisterte Windsurfer wie Segler Zeit findet, dann steigt Marcus Lynch daheim im britischen Warsash, wo er mit seiner Familie lebt, aufs familieneigene alte kleine Boot, das am River Hamble liegt. „Darauf bringen wir den Mädchen das Segeln bei“, sagt der Coach aus Passion.