Quasi über Nacht hat sich das Leben von Anastasiya Winkel auf den Kopf gestellt. Stand zuvor die Olympia-Kampagne im Fokus, hilft die 470er-Vorschoterin nun Menschen bei der Flucht aus der Ukraine. Parallel versucht sie sich bestmöglich auf den ersten World Cup im 470er-Mixed vorzubereiten und die Gedanken an den Krieg in der Heimat auszublenden.
Anastasiya, wie geht es dir?
Es ist gerade ziemlich stressig. Wir hängen ein bisschen mit dem Bootsbau hinterher, weil Malte, mein Mann, in letzter Zeit viel für die Uni zu tun hatte und auch nicht viel für die Regatta vorbereiten konnte. Wir haben jetzt beschlossen, dass wir das nötigste machen und auf den Rest, der vielleicht wünschenswert, aber nicht extrem wichtig ist, aus Zeitgründen verzichten.
Am 4. April startet für dich und Malte auf Mallorca der erste World Cup des Jahres. Gelingt es dir überhaupt, umzuschalten und den Fokus auf das Ziel sportliche Höchstleitungen zu bringen?
Die Vorbereitung war wirklich anstrengend, wir hatten wenig Erholung und waren beim Segeln auch manchmal genervt. Aber jetzt haben wir noch ein bisschen Zeit uns zu erholen und uns auf unsere sportlichen Ziele zu fokussieren. Auf dem Wasser kann ich gut abschalten. Daher hoffe ich, dass ich in der kommenden Woche meine Höchstleistung bringen kann.
Wie ist die aktuelle Lage deiner Familie?
Meiner Mutter geht es gut. Sie lebt in der Region Luhansk, da ist es immer noch ziemlich ruhig. Jetzt, wo die russische Armee von Kiew abgezogen ist, bin ich ein bisschen beruhigter was meinen Bruder angeht. Der ist in Kiew und hat keine Arbeit, sein Geld ging langsam zu Neige, er hatte nicht so viel zu essen. Da habe ich mir Sorgen gemacht. Aber ich hoffe, dass er jetzt bald anfangen kann zu arbeiten.
Du wirkst trotz allem so positiv und voller Energie. Wie machst du das?
Jetzt, wo der Krieg schon ein bisschen länger dauert, habe ich es irgendwie geschafft meine negativen Emotionen abzuschalten und einfach maximal produktiv zu sein – so, wie man eben in einer Krisensituation arbeitet. Da denkt man nicht viel drüber nach und macht einfach. Ich glaube, ich bin die meiste Zeit in diesem Modus.
40 bis 50 Menschen sind bereits untergebracht
Du verbringst aktuell jede freie Minute damit, ukrainische Menschen aus deinem Freundes- und Bekanntenkreis in private Unterkünfte zu vermitteln. Klappt das weiterhin so gut wie am Anfang?
Mal mehr, mal weniger. Nicht immer passt die Größe der Unterkunft zu der Größe der Familien. Und für manche, die kein Auto haben, kommt auch nicht jede Wohnung infrage, wenn die zum Beispiel ein bisschen außerhalb ist. Deshalb ist es nicht so einfach, und es kostet mich auch viel Zeit.
Du hast ein Netzwerk aufgebaut zur Unterstützung der Ukrainerinnen und Ukrainer – wer gehört dazu?
Es sind viele aus der Segelwelt, über die Segel-Bundesliga habe ich auch welche erreicht, in Schilksee, Kiel und Strande und auch über meinen Verein, den NRV. Ein Clubkamerad hat ein Haus in Strande und hat mir dort auch noch weitere Kontakte vermittelt. Da konnte ich auf Anhieb fünf Familien unterbringen, das war gut. Auch die Familien befreundeter Segler und Bekannte aus Kiel haben Menschen aufgenommen.
Für wie viele Geflüchtete aus der Ukraine ist es dir inzwischen gelungen, in Deutschland eine Gastfamilie oder eine möblierte Unterkunft zu finden?
Die genaue Zahl kann ich nicht sagen, aber ich schätze, zwischen 40 und 50 Leute sind es schon, wenn man die Kinder nicht mitzählt. Die meisten Familien leben in Hamburg und in Kiel, manche aber auch in Plau oder bei Neumünster.
„Ich wünsche mir, dass dieser Krieg einfach vorbei ist“
Gibt es etwas, was dich besonders überrascht hat in den vergangenen Wochen?
Auf jeden Fall, ich war sehr überrascht, dass so viele Leute Hilfe angeboten und mich öfter angeschrieben haben. Auch Leute, die keine Unterkunft hatten, haben versucht mir ihre Kontakte oder Angebote von Facebook weiterzuleiten. Das war cool. Zu sehen, dass die Leute sich alle zusammen so engagiert haben, Zeit investiert haben…
Gibt es etwas, was du dir wünschen würdest? Weniger Bürokratie zum Beispiel?
Ich finde die Bedingungen für Ukrainer in Deutschland ziemlich gut. Die Behörden versuchen schon, nur das nötigste an Bürokratie zu machen und alles so zu vereinfachen, dass die Leute die weder Deutsch noch englisch sprechen es trotzdem verstehen. Das Problem ist ein bisschen, dass es in jedem Bundesland ein bisschen unterschiedlich läuft. Anfangs war das etwas schwierig zu verstehen, aber jetzt weiß ich ungefähr, wie es überall abläuft. Was ich mir am meisten wünsche ist, dass dieser Krieg einfach schnell vorbei ist! Viele Leute sagen mir, dass sie sich über die Hilfe freuen, aber dass sie gerne nach Hause zurück würden.
Macht ihr euch jetzt schon gemeinsam Gedanken darüber, wie es für die meisten hier weiter geht in der Zukunft?
Die meisten versuchen Arbeit zu finden. Von meinen Bekannten haben etliche schon einen Job gefunden, zum Beispiel in der Gastronomie. Und ich habe auch gehört, dass bei den Flüchtlingen, die eine medizinische Ausbildung haben und englisch sprechen, gesucht werden. Auch die Regeln für die Anerkennung der Studienabschlüsse werden vereinfacht, das finde ich ziemlich gut.
Keine Zeit zum Nachrichten schauen
Für viele Menschen ist die Nachrichtenlage aus der Ukraine schwer auszuhalten. Wie ist das bei dir: Schaffst du es, nicht ständig ins Handy zu schauen und dort die Nachrichten zu verfolgen?
Ich gucke fast gar nicht mehr in die Nachrichten. Ich höre, was meine Freundinnen mir erzählen, aber selber versuche ich gerade gar nicht reinzuschauen. Das habe ich die ersten paar Tage gemacht und war sehr ineffektiv. Es bringt niemandem etwas, wenn ich dasitze und leide und nichts tun kann. Gerade habe ich auch so viel zu tun mit dem Segeln und den Unterkünften, dass ich auch gar keine Zeit habe, die Nachrichten zu checken.
Hast du Freunde in der russischen Segel-Community? Hat sich der Kontakt zu ihnen verändert?
Ich habe vor ein paar Wochen mit einer befreundeten russischen 470er-Seglerin gesprochen, die mit einem Deutschen verheiratet ist. Sie fragte, wie es uns geht, sagte, dass es ihr leidtut und sie nie erwartet hätte, dass es so kommt. Für sie ist es auch schwierig und sie weiß nicht, was sie tun soll. Auch ihre Welt ist auf den Kopf gestellt. Für die russischen Sportler tut es mir sehr leid, dass sie von allen Wettkämpfen ausgeschlossen sind. Aber die Priorität ist, dass der Krieg möglichst schnell vorbei ist, und wenn diese Sanktionen dabei helfen, dann ist es mir recht.