Sie sind olympiaerfahren, segeln seit 2011 in einem Boot und punkten meist dann, wenn es wirklich zählt: Die 49er FX-Seglerinnen Victoria Jurczok und Anika Lorenz vom Verein Seglerhaus am Wannsee haben sich nach Platz neun bei ihrer Olympia-Premiere 2016 in Rio für ihren zweiten Anlauf viel vorgenommen.
Bei der olympischen Testregatta in diesem Sommer waren sie noch nicht ganz da, wo sie bei Olympia 2020 sein wollten, und verpassten mit Platz elf das Medaillenrennen knapp. Enoshima mögen sie dennoch: „Wow!“, sagt Steuerfrau Vicky Jurczok, „ein tolles Segelrevier mit Wind und Wellen in allen Varianten!“ Ihre Vorschoterin Anika Lorenz stimmt zu: „An den Tagen, die dem olympischen Segelzeitraum am dichtesten kamen, haben wir tolle Bedingungen erlebt. Wir haben es mit ordentlich Schwell, Wärme und Luftfeuchtigkeit zu tun.“ Zwei Hinweise hat Anika Lorenz aber auch: „Taifun-Beeinträchtigungen während der Spiele sind absolut nicht unrealistisch und auf die Haie könnte ich gerne verzichten…“
Bekannt ist die Crew, die beim 49er FX-Bundestrainer Dave Evans trainiert, für ihre „Drahtseilnerven“ unter Druck. Jurczok weiß: „Unsere größte Stärke ist, dass wir in stressigen Situationen einen kühlen Kopf bewahren.“ Mit der gut organisierten, disziplinierten und athletischen Lorenz und der fokussierten Steuerfrau Jurczok und deren überragendem Bootsgefühl haben sich zwei gefunden, die so lange wie kaum eine andere deutsche Top-Crew als eine Einheit segeln: bis Olympia 2020 werden es neun Jahre sein. „Als Team sind wir unschlagbar, weil wir uns super verstehen und ergänzen“, sagt Anika Lorenz.
Im Alter von sieben Jahren hat die 49er FX-Vorschoterin im Opti begonnen. Bei der Wassersportvereinigung am Langen See in Berlin war die Mama die erste Trainerin, später begleiteten auch Björn Glawe und Mike Knobloch das talentierte Mädchen erst im Berliner Opti-Kader, dann im 470er-Kader der Hauptstadt. Die Familie, der Freund und der Verein Seglerhaus am Wannsee sind bis heute loyale und verlässliche Unterstützer. Vicky Jurczok stieg im Alter von zwölf Jahren vergleichsweise spät „optimistisch“ in den Segelsport ein und nennt VSaW-Coach Marko Müller als einen wichtigen Förderer in ihrer Entwicklung. „Meine Eltern, meine Segelpartner und Erik Heil“ zählt Vicky Jurczok zu den wichtigen Menschen, die sie auf dem Weg zu WM-Bronze 2016, EM-Silber und Weltcup-Gold 2018 unterstützt haben.
Beide Athletinnen wissen, dass für Erfolge in ihrer rasanten olympischen Skiff-Disziplin „Speed und gute Starts“ unabdinglich sind. „Gefordert sind in unserer Klasse Fitness, Bootsgefühl, schnelle Entscheidungen und Bootsbaukenntnisse“, fasst Lorenz das breite Aufgabenfeld zusammen. Die Hauptaufgabe für den Olympia-Endspurt ist für sie klar: „Alles an Bootsspeed rausholen.“ Kämpfen können die beiden Skiff-Akrobatinnen wie ihr Vorbild Ulrike Schümann. Im heimischen VSaW tauschen sich die Skiff-Akrobatinnen regelmäßig mit der Olympia-Vierten von 2008 aus, profitieren von ihren Erfahrungen.
Vor dem 49erFX-Duo liegen große Herausforderungen: Der Nationenstartplatz in ihrer Disziplin muss noch gesichert werden. Gelingt das, treten Jurczok/Lorenz wie schon vor vier Jahren im Kampf um nur eine 49erFX-Fahrkarte zu den Olympischen Spielen gegen ihre Teamkameradinnen und dann wieder Rivalinnen Tina Lutz und Susann Beucke an. Die nationale Ausscheidung beginnt mit der Skiff-Weltmeisterschaft in der ersten Dezemberwoche in Auckland, wird im Februar 2020 mit der WM im australischen Geelong fortgesetzt und endet mit der Trofeo Princesa Sofía vor Mallorca.
„Sei frech, wild und wunderbar.“
„Püppi“ wird Steuerfrau Victoria Jurczok aufgrund ihrer Zierlichkeit genannt. Ihr Gewicht zu halten und in optimale Richtung nach oben zu zwingen, fällt den Seglerinnen nicht immer leicht. „Ein paar mehr Kilo schaden nie“, scherzt Anika Lorenz über das kleine Problem, das andere gerne hätten. Niedlich, wie es ihr Spitzname vermuten lässt, werden weder Vicky Jurczok noch ihre Teamkameradin Anika Lorenz den vielleicht letzten olympischen Gipfelsturm der gemeinsamen Karriere angehen. Sie kämpfen für den erhofften „krönenden Abschluss einer unglaublich tollen Kampagne“ (Jurczok). Ihr Motto als Sportlerin reflektiert auch diese Herausforderung: „Der Weg ist das Ziel.“
Als Privatmensch folgt Steuerfrau Jurczok gerne Astrid Lindgrens Maxime: „Sei frech, wild und wunderbar.“ Dazu passt der Titel ihres Lieblingsbuches „The subtle art of not giving a f*ck“. Im Werk des Bloggers Mark Manson geht es auch darum, seine Grenzen zu akzeptieren, um zur gewünschten Stärke zu finden. Anika Lorenz hat das Buch „Lass die Mitarbeiter surfen gehen“ von Outdoor-Unternehmer Yvon Chouinard beeindruckt, der seine unternehmerischen Erfolge mit unorthodoxen Mitteln erreicht.
Jurczok tippt auf drei Medaillen für das German Sailing Team bei Olympia 2020, Lorenz auf zwei. Eine davon hätten sie gerne selbst.
Steckbrief Victoria „Vicky“ Jurczok
Position: Steuerfrau
Bootsklasse: 49erFX
Geboren: 25. März 1990
Geburtsort: Berlin
Wohnort: Kiel
Verein: Verein Seglerhaus am Wannsee
Trainer: Dave Evans
Als Crew in einem Boot seit: 2011
Größe: 1,61 Meter
Gewicht: 60 Kilogramm
Beruf: Sportsoldatin
Sponsoren und Partner: Mattfeld, Liros, Wirliebenkabel, Frisch/Musto, VSaW, OSP Berlin, Bundeswehr, Sporthilfe, DSV, German Sailing Team
Steckbrief Anika Lorenz
Position: Vorschoterin
Bootsklasse: 49er FX
Geboren: 9. Dezember 1990
Geburtsort: Berlin
Wohnort: Hamburg
Verein: Verein Seglerhaus am Wannsee
Trainer: Dave Evans
Als Crew in einem Boot seit: 2011
Größe: 1,71 Meter
Gewicht: 71 Kilogramm
Beruf: Sportsoldatin und Masterstudium Wirtschaftsingenieurswesen
Sponsoren und Partner: Mattfeld, Liros, Wirliebenkabel, Frisch/Musto, VSaW, OSP Berlin, Bundeswehr, Sporthilfe, DSV, German Sailing Team