Der Hamburger Segelprofi Tim Kröger (55) ist seit Ende 2019 als Trainer für die neue olympische Disziplin Mixed Two Person Offshore Keelboat im Einsatz, die 2024 ihre Olympia-Premiere feiert. Im Interview gibt der Weltumsegler und zweimalige America’s-Cup-Teilnehmer Einblicke in die ersten, in der Corona-Krise ungewöhnlichen Monate seiner Arbeit für das German Sailing Team, erklärt das neue Trainingsregatta-Konzept und verrät, was ihm der Segelsport ganz persönlich bedeutet.
Herr Kröger, Sie sind gerade erst als DSV-Trainer für die neue olympische Disziplin Mixed Two Person Offshore Keelboat, die 2024 ihre Premiere feiert, durchgestartet. Dann kam die Corona-Pandemie und hat viele Pläne vereitelt …
Tim Kröger: Corona hat uns beim Durchstarten nicht geholfen, eher ausgebremst, aber ganz sicher nicht aus der Bahn geworfen. Die Folgen der weltweiten Krise haben für viele Menschen Belastungen und neue Erfahrungen mit sich gebracht. Natürlich auch für uns in der Arbeit für die neue Disziplin. Aber wir Segler können einige davon mit den Lehren der See beantworten: Wir können uns nur mit der Situation arrangieren und müssen den Sturm mit angepasstem Handeln überstehen. Also alles seefest stauen, sich korrekt wappnen, den Wetterbericht laufend checken und entsprechend vorbereiten und handeln. So sehe ich es im übertragenen Sinn auch für unser DSV-Engagement in der neuen Disziplin Mixed Offshore in dieser fordernden Zeit. Wir lassen uns von Absagen nicht aus dem Konzept bringen. Im Gegenteil: Wir beantworten die aktuellen Bedingungen mit einem eigenen Konzept, bis sich die Zeiten wieder ändern.
Wie sieht dieses Konzept aus?
An unserem Ziel, exzellente Mixed Offshore-Kandidaten für Olympia 2024 zu finden, sie weiter auszubilden und sie auf dem Weg zu Olympia 2024 stark zu machen, hat sich nichts verändert. Das werden wir aktuell mangels angebotener Regatten mit eigenen Trainingsregatten vorantreiben. Damit wollen wir allen ernsthaften Kandidatinnen und Kandidaten einen vernünftigen Rahmen zum Segeln, zum Lernen, zum Testen und zur Weiterentwicklung geben.
Wo und mit welchen Booten sollen diese Regatten stattfinden?
Wir haben einen sehr gut organisierten Bundesstützpunkt in Kiel-Schilksee, der sich ideal als Start- und Zielhafen eignet. Von hier werden die Trainingsregatten über zunächst einmal 150 bis 200 Seemeilen stattfinden. Das entspricht noch nicht der 500-Seemeilen-Länge des späteren olympischen Segelkurses, gibt aber in der aktuellen Situation auch arbeitenden Kandidatinnen und Kandidaten die Möglichkeit, die Trainingsregatten am Wochenende zu bestreiten. Zugelassen sind engagierte Crews mit ihren eigenen Booten in einem Größenbereich wie das spätere olympische Boot für diese Disziplin, das aber erst noch festgelegt wird. Es gibt bereits eine Kurzliste, die die Richtung vorgibt.
Was müssen die Teilnehmer an den Trainingsregatten außer dem eigenen Boot idealerweise mitbringen?
Können, Ehrgeiz, Elan, Durchhaltewillen und eine gute Rennstrategie, wie man so ein Rennen angeht und umsetzt. Das wollen wir bewerten. Wir werden die Rennen virtuell begleiten und nach jedem Trainingsrennen ein intensives Online-Debriefing mit allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchführen, um Optimierung und Weiterentwicklung voranzutreiben.
Wie viele Trainingsregatten sind zunächst geplant?
Wir wollen am letzten Juli-Wochenende durchstarten und die Serie dann alle paar Wochen voraussichtlich bis in den November hinein fortsetzen. Die genauen Daten legen wir gerade noch fest. Ernsthaft interessierte Teilnehmer können Sie bei uns abfragen. Sobald der Plan komplett steht, werden wir die Regattadaten auch veröffentlichen.
Haben Sie in der kurzen Zeit, die Ihnen aufgrund der Corona-Krise für Einblicke in die Szene und die Auseinandersetzung mit potenziellen Kandidaten geblieben ist, schon erste Erkenntnisse über das Niveau der Interessierten gewinnen können?
Ich habe seit Ende 2019 mit sehr vielen Interessentinnen und Interessenten gesprochen. Die Kandidaten reichen von bekannten Seeseglerinnen und Seeseglern bis zu Neu- und Quereinsteigern auch aus anderen olympischen Klassen. Da sind vielversprechende Seglerinnen und Segler dabei. Bislang aber noch sehr wenig Frauen, die ich bei Interesse ausdrücklich zum Testen und Ausprobieren motivieren möchte. Ich bin überzeugt und sehe es auch schon, dass die Wahl der neuen Disziplin Mixed Two Person Offshore Keelboat für Olympia 2024 ganz viele Brücken zum klassischen Segelsport mit Zweihand-Teams baut. Für den Anfang laden wir ganz ausdrücklich auch reine Frauen- oder reine Männer-Zweier-Crews zu unseren Trainingsregatten ein. Der Trend zum Zweihand-Segeln und zu Zweihand-Regatten nimmt deutlich zu und das wollen wir reflektieren. Wer gerade noch keinen Partner für eine Mixed-Mannschaft hat, aber an dieser olympischen Disziplin interessiert ist, der ist bei unseren Trainingsregatten in diesem Jahr absolut willkommen.
Eine WM oder die entsprechend abgesagte nationale WM-Ausscheidung wird es aber dieses Jahr nicht mehr geben?
Leider nicht. Die sind in der Corona-Pandemie über Bord gegangen. Das ist schade, denn wir hatten für die Ausscheidung mit den J70-Booten ein gutes Konzept stehen, dass auch bei den knapp ein Dutzend gemeldeten Teams gut angekommen war. Es standen starke Crew-Konstellationen und ein paar bekannte Namen auf der Liste. Uns hätte die Ausscheidung natürlich die Möglichkeit gegeben, die potenziellen Teams für Malta auf Herz und Nieren zu prüfen. Einige hatten sich schon intensiv vorbereitet. Ich hätte diese Ausscheidung sehr gerne gesehen. Aber wir müssen mit dem klarkommen, was aktuell möglich ist und bleiben trotz der vielen gestrichenen Regatten nun mit dem eigenen Konzept eng am Ball. Es sind die Seglerinnen und Segler, die wir als DSV fördern wollen. Das tun wir nun eben auf alternative Weise, bis es wieder andere Möglichkeiten gibt.
Es ist eher selten, dass Segelprofis eine Trainerrolle im Verband übernehmen. Was hat Sie dazu motiviert?
Mehrere Faktoren. Ich habe das Angebot von DSV-Sportdirektorin Nadine Stegenwalner nach intensiven und guten Gesprächen als spannende Herausforderung empfunden, die sich genau in dem Sektor abspielt, der auch mein Berufsfeld ist: Seesegeln. Ich selbst habe auch immer schon gerne in gemischten Teams gesegelt. Für mich ist das Mixed-Segeln ganz natürlich. Und es mag vielleicht ein wenig sentimental klingen, aber ich will dem Segelsport, der mein ganzes Leben geprägt und mir sehr viel gegeben hat, auch gerne etwas zurückgeben. Das kann ich nun als Trainer im olympischen Bereich tun. Ob ich es immer perfekt machen werde, das weiß ich nicht. Ich werde es aber sicher mit meinem professionellen Hintergrund, meiner ganzen Erfahrung und mit Herzblut machen.
Wie haben Sie die Zusammenarbeit in den ersten Monaten erlebt?
Offen, dynamisch und konstruktiv. Ich erlebe, dass alle, die im German Sailing Team für den olympischen Segelsport und vor allem für die Aktiven arbeiten, mit viel Engagement und Leidenschaft dabei sind und wirklich was bewegen wollen. Das gefällt mir.
Sie sind selbst viele Jahre olympisch gesegelt, haben zweimal die Welt umrundet, 2003 und 2007 am America’s Cup teilgenommen, sind Weltmeister und seit 30 Jahren Profisegler. Was können Sie Ihren neuen jungen Teams mit auf deren olympischen Weg geben?
Abgesehen von Erfahrung und Handwerk hoffentlich auch eines oder beide Mottos, die mich leiten. Erstens: Go hard or go home. Zweitens: Wer kämpft, der kann auch mal verlieren. Und nur, wer ein guter Verlierer ist, der wird auch ein würdiger Sieger. Will sagen: Wir suchen aktuell nicht schon fertiggebackene Seriensieger, sondern starke Typen, Seglerinnen und Segler, die bereit sind, diesen neuen olympischen Kurs mit uns anzusteuern.
Der Job als Mixed Offshore-Trainer ist ein Teil Ihrer Arbeit. Darüber hinaus sind Sie aber noch in anderen Bereichen aktiv…
Ich bin weiter als Racecrew-Manager der J-Class-Yacht ‚Topaz‘ im Einsatz und betreue daneben einige Regatta-Einzelprojekte als Segler und Coach.
Was bedeutet Ihnen der Segelsport?
Abgesehen von meiner Familie und meinen Freunden fast alles. Er ist und bleibt eine immerwährende Herausforderung, lässt mich meinen Lebensunterhalt verdienen, treibt mich an, fordert mich und macht mich meistens glücklich.