Lena Erdil, 32 und Sebastian Kördel, 31, surfen seit vielen Jahren erfolgreich als Profis auf der PWA World-Tour. Jetzt haben die beiden ihren Fokus verschoben: 2024 wollen sie für Deutschland bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris eine Medaille gewinnen. Im Doppelinterview sprechen sie über ihre Motive für diesen Schritt und ihre Erwartungen, über ihre Erfahrungen im Worldcup und die Liebe zum Windsurfen.
Lena und Sebastian, warum startet ihr gerade jetzt in eine Olympiakampagne?
Sebastian Kördel: Weil es jetzt endlich die Chance gibt, bei den Spielen auf Material zu surfen, das richtig Spaß macht. Mir war es in meiner Karriere immer extrem wichtig, Spaß zu haben, wenn ich aufs Wasser gehe. Denn um gut zu werden im Windsurfen, musst du jede Menge Lebenszeit investieren…und das geht nur mit Herzblut. In Paris starten wir in einer Klasse, die dynamisch und schnell ist – das wollte ich mir nicht entgehen lassen.
Ab 2024 ist iQFOiL die neue Olympische Windsurfklasse für Frauen und Männer und löst das RS:X-Board und -Material ab…
Lena Erdil: Zum Glück ist die Entscheidung so getroffen worden. Sonst wäre eine Olympiakampagne für mich niemals in Frage gekommen. Aber das Foilen ist eine echte Herausforderung, mich auf einem neuen Spielfeld zu beweisen. Ich liebe es, etwas zu lernen, und mich dann auch mit anderen zu messen. Im Worldcup habe ich bereits vieles erreicht. Nicht, dass es mir dort langweilig geworden ist, nein. Aber olympisch unterwegs zu sein, das ist schon etwas ganz Besonderes und weltweit anerkannt.
Was genau fasziniert Euch denn so am Foilen?
Lena Erdil: Zunächst einmal ist es nicht wirklich schwierig, das Foilen zu lernen, wenn du schon ein wenig windsurfen kannst…
Sebastian Kördel: …und dann ist es um dich geschehen, du bist unterbewusst nur noch auf eins gepolt: FOILEN. Über die Wellen bügeln. Mit Leichtigkeit.
Lena Erdil: Ja, das hat etwas von Schwerelosigkeit. Du fliegst über dem Wasser und spürst keinen Widerstand mehr. Es ist beinahe unwirklich. Kurz gesagt: Foilen ist grandios. Du wirst extrem schnell und kannst gute Winkel auch gegen den Wind fahren.
Sebastian Kördel: Genau diese Effizienz fasziniert mich am Foilen. Man merkt plötzlich, wie schnell man bei wie wenig Wind doch sein kann. Sogar bei einem Hauch von Wind, bei fünf bis sieben Knoten, geht was. Es funktioniert eigentlich immer. Es sei denn, man ist am Bodensee… da geht manchmal dann doch gar nichts… (Sebastian schmunzelt, wenn er an sein Heimatrevier denkt). Ich fahre auch Rennrad – da ist es so ähnlich mit der Effizienz.
„Teil eines großen Teams sein: Verein, Verband, German Sailing Team“
Was erwartet ihr – wie wird sich euer Leben und euer Training in den kommenden drei Jahren verändern?
Lena Erdil: Bei der Olympiakampagne bin ich zum ersten Mal Teil eines echten Teams, mit dem ich aufs Engste zusammenarbeite. Ich gehöre jetzt zu einem Verein, zu einem Verband, zum German Sailing Team…
Sebastian Kördel: …was echt ein cooler Gedanke ist. Das macht mich schon irgendwie an…
Lena Erdil: Mich auch. Dieser Teamgedanke hat mich schon während der Spiele in Tokio berührt. Ich habe extrem doll mitgefiebert, obwohl ich noch gar nicht dazugehörte. Und als ich Tina und Sanni (Tina Lutz und Susann Beucke gewannen 2021 olympisches Silber im 49erFX, Anmerkung der Redaktion) auf dem Podium gesehen habe, musste ich mitweinen. Und ich habe gedacht: Ja, das gibt Kraft und Vertrauen, es selbst auch schaffen zu können. Mit einem kompetenten und professionellen Team an deiner Seite, welches mich technisch, logistisch, physisch, mental, oder wo auch immer Bedarf ist, begleitet.
Sebastian Kördel: Diese intensive Form der Unterstützung kenne ich auch noch nicht. Im Worldcup habe ich immer eigenverantwortlich ohne Coach gearbeitet. Das war gut so, hat aber auch seine Grenzen. Diese neuen Strukturen und die gezielte Förderung durch den Deutschen Segler-Verband habe ich im Herbst 2021 schon erfahren können: Da waren beim Training Coaches auf einem Boot dabei, und wir haben anschließend bei den Videoanalysen alles im Detail besprochen. Super effektiv. Ich freue mich schon darauf, wenn ich künftig auch zwischen den Rennen die Taktik besprechen kann: Was ist da gerade gelaufen oder auch schiefgelaufen, wie waren die Winddreher, was hätte ich besser machen können?
„Der Worldcup, das ist eine kleine verrückte Gruppe mit Herzblut und Hingabe. Doch auf dem Wasser wird auch mal gebrüllt“
Sind die Windsurferinnen und Windsurfer im Worldcup denn eher als Einzelkämpfer unterwegs?
Sebastian Kördel: Um erfolgreich zu sein, brauchst du immer eine Gruppe und musst möglichst viel Zeit am Limit verbringen. Dafür brauchst du andere, die dir aufzeigen, wie schnell man fahren kann und die dich pushen beim Radfahren oder im Fitness-Studio. Deshalb habe ich immer geschaut: Wo trainieren die Leute, die ich mag. In Frankreich trifft man eigentlich immer und überall Worldcupper. Oder in Südspanien, in Tarifa oder auf Teneriffa. Alleine wirst du nichts.
Es gibt sie also auch auf internationaler Ebene, die oft beschworene Gemeinschaft der Windsurferinnen und Windsurfer?
Lena Erdil: Ja, die gibt es. Wenn einer Hilfe benötigt, ist immer jemand da. Und in den Sponsorenteams gibt es natürlich auch einen gewissen Zusammenhalt.
Sebastian Kördel: Wir sind schon eine kleine verrückte Gruppe, die mit Herzblut und Hingabe bei der Sache ist und damit noch nicht mal reich werden kann.
Lena Erdil: Aber Samthandschuhe auf dem Wasser gibt es nicht. Da sollte man sich nichts vormachen. Da ist der Blutdruck hoch, da wird schon mal gebrüllt – bei den Frauen und den Männern gleichermaßen.
Welche Erkenntnisse aus dem Worldcup könnten euch jetzt bei der Olympiakampagne helfen?
Lena Erdil: Ich bringe schlicht und ergreifend jede Menge Erfahrung mit, im Wettkampf, im Training, in allen Tiefen und Höhen des Lebens einer leistungsorientierten Sportlerin. Diese Olympiakampagne wird meine einzige sein, für mich gilt: jetzt oder nie. Bei mir stehen keine anderen Dinge im Raum, ich stelle mir bestimmte Fragen nicht wie vielleicht mit Anfang 20 noch: Was studiere ich, oder was will ich vielleicht beruflich machen. Mein Fokus liegt ausschließlich auf der Kampagne, es gibt keine Ablenkungen in den kommenden drei Jahren. Nebenher arbeite ich festangestellt im Online-Marketing, das funktioniert immer, egal, wo ich trainiere. Und sollte ich mehr Zeit auf dem Wasser benötigen, dann kann ich bei meinem Arbeitgeber auch pausieren.
Sebastian Kördel: Im Worldcup bin ich schon Vize-Weltmeister geworden. Ich war also schon mal ganz oben und weiß, was es braucht, um dort hin zu kommen. Und dort zu bleiben. Ich weiß, dass ich als Leistungssportler Einsatz bringen und Durchhaltevermögen zeigen muss. Ich weiß, worauf ich vor intensiven Trainingseinheiten und Regatten verzichten sollte, und wie ich den Wettkampfmodus halten kann. Und ich habe gelernt, mit Druck gut umzugehen, um nicht mental einzuknicken.
Was muss Frau/Mann neben mentaler Stärke mitbringen, um beim iQFOiL eine olympische Medaille gewinnen zu können?
Sebastian Kördel: Grundsätzlich musst du beim leistungssportorientierten Windsurfen körperlich richtig fit sein. Nicht umsonst verbringen wir neben den Stunden auf dem Wasser viel Zeit im Fitnessstudio beim Gewichtheben, auf dem Fahrrad oder dem Ruderergometer. Das gilt verstärkt auch für das iQFOiL. Dort sind Ausdauer und Kraft gleichermaßen gefordert. Bei uns Männern sind alle um die 90 Kilogramm schwer. Da geht es dann darum, mit besagter Ausdauer, Kraft und zugleich Körperspannung die Balance beim Foilen zu halten. Und natürlich um die Durchsetzungskraft in starken Feldern, um taktisches Können.
„Es ist doch kein Verbrechen, die Beste sein zu wollen“
Sorry, aber um diese Frage kommt ihr jetzt doch nicht herum: Welches Ziel habt ihr euch gesetzt für die Spiele 2024?
Sebastian Kördel: Ganz klar: Wenn ich mich qualifiziert habe, dann möchte ich auch eine Medaille gewinnen. Grundsätzlich sollte man als Sportler immer den Sieg anstreben.
Lena Erdil: Ohne Selbstbewusstsein läuft nichts. Das sehe ich auch so. Zweiter ist der erste Verlierer. Das war ich so oft, ich weiß, wovon ich rede. Also: Ich möchte Gold gewinnen. Klar, ich werde jetzt an dieser Ansage gemessen, aber es ist doch kein Verbrechen, die Beste sein zu wollen. Die größte Enttäuschung liegt mit Pech am Ende bei mir selbst.
Viele junge Menschen träumen von einer Karriere im Windsurfen. Was würdet ihr ihnen mit auf den Weg geben wollen?
Lena Erdil: Windsurfen ist kein ganz einfacher Sport. Deshalb solltest du persönlich unbedingt Biss mitbringen, den Willen ganz nach vorne kommen und immer etwas Neues lernen zu wollen. Am Anfang lernt man ja relativ schnell, ein wenig hin und her zu surfen. Doch es dauert schon eine Weile, bis man ins Gleiten kommt und so richtig Spaß hat. Dann geht’s erst richtig los.
Sebastian Kördel: Es macht auf jeden Fall Sinn, insbesondere im Hinblick aufs Foilen und Olympia, ganz klassisch den Weg über die Vereins- und Verbandsstruktur zu gehen. Dort bekommst du anständiges Training. Und das mit dem Biss stimmt: Du musst dranbleiben, bei Rückschlägen weitermachen. Du wirst interessante Menschen treffen, die genauso sind. Von ihnen kannst du lernen. Bei den Windsurferinnen und Windsurfern triffst du viele kluge Köpfe. Und sie alle lieben, was sie tun.
Könnt ihr euch ein Leben ohne Windsurf-Wettkämpfe vorstellen?
Sebastian Kördel: Ich bin glücklich und zufrieden mit der Ausrichtung meines Lebens so wie es gerade ist. Da denke ich gar nicht über etwas anderes nach. Und später wird sich dann eine Tür auftun – ich werde dem Sport immer verbunden bleiben.
Lena Erdil: Ich werde auch nach meiner aktiven Regatta-Karriere weiter auf dem Brett stehen, definitiv. Ich werde viel Spaß in der Brandung haben und das Wellen-Windsurfen genießen. Nur einfach so, just for fun.
Kapstadt in Südafrika, Tarifa in Spanien und der Bodensee – Windsurfen vom Feinsten
Welches sind eure Lieblingsspots?
Lena Erdil: Ich würde mich nach Südafrika beamen, nach Kapstadt und dann Richtung Westen nach Big Bay oder Bloubergstrand. Dort liegen so viele tolle Spots beieinander, da findest du für jede Windrichtung und -stärke das Richtige.
Sebastian Kördel: Tarifa in Südspanien ist für mich die Windsurfdestination schlechthin. An einem 35- bis 40-Knoten-Levante-Tag auf der Finne mit kleinem Bord mit einem 5.5-Quadrameter-Segel auf dem Wasser kämpfen – das liebe ich. Für mein Heimatrevier, den Bodensee mit seiner tollen Landschaft drumherum, wünschte ich mir 12 bis 15 Knoten. Dort lässt es sich dann megaschön Foilen, mal nach Meersburg, mal nach Lindau, mal nach Konstanz. Herrlich!