Eine Olympiakampagne als Ehepaar – kann das gutgehen? Ja, sagt Anastasiya Winkel. In drei Jahren will die 28-Jährige mit ihrem Mann Malte im 470er mixed um olympische Medaillen segeln. Wie sie mit hochkochenden Emotionen auf dem Wasser umgeht, und wie der Switch vom Ehe- zum Segelpaar gelingt, erzählt die gebürtige Ukrainerin im Interview.
Hallo Anastasiya, wo bist du gerade?
Ich bin gerade zuhause in Kiel und schreibe an meiner Masterarbeit. Die erste Hälfte habe ich so gut wie geschafft.
Wie lautet denn das Thema deiner Arbeit?
Es ist ein sehr spannendes Thema. Ich studiere ja Sportwissenschaften und lege einen Schwerpunkt auf mentale Stärke und mentale Faktoren. Für meine Masterarbeit untersuche ich, wie die Corona-Situation die Athletinnen und Athleten bei den Olympischen Spielen 2021 in Tokio beeinflusst hat, eher positiv oder eher negativ.
Heute vor gut fünfeinhalb Monaten bist du mit Luise Wanser in Enoshima das Medal Race der Olympischen Spiele gesegelt. Was denkst du, wenn du dich an diesen Tag erinnerst?
In mir kommen sofort alle Emotionen hoch, ein schönes, warmes Gefühl… Ich erinnere mich, wie unser Trainer Riccardo nach dem Medal Race zu uns kam, uns in den Arm genommen und geweint hat. Obwohl wir keine Medaille gewonnen haben, war das ein sehr emotionaler und schöner Moment.
„Manchmal kommen immer noch `was wäre wenn`-Gedanken“
Ihr seid in Japan wegen einer zu schweren Trapezweste für zwei Wettfahrten disqualifiziert worden. Diese Disqualifikation hat euch wahrscheinlich eine Medaille gekostet. Konntest du deine Enttäuschung oder auch Wut verarbeiten?
Es war sehr hart, und wenn ich daran denke, kommen immer noch manchmal „was wäre wenn“-Gedanken. Aber ich habe es für mich schon soweit verarbeitet. Denn im Prinzip gehe ich immer davon aus, dass alles, was uns passiert, zu etwas Gutem führt. Die Situation, so nah an einer Medaille zu sein, alle Möglichkeiten zu haben, bis dann dieses Unglück passiert ist – die hat mir gezeigt, dass eigentlich alles realisierbar und nichts unmöglich ist. Bei den nächsten Spielen möchte ich das noch mal beweisen. Da wird dann alles richtig laufen.
Um dich für Tokio zu qualifizieren, musstest du im entscheidenden WM-Rennen deine Schwägerin, Birte Winkel, schlagen. Ihr beide wusstet vor dem Medal Race, dass nur für eine der Olympia-Traum wahr werden kann. Wie geht man mit einer so speziellen Konkurrenzsituation um?
Birte und ich kannten uns zu diesem Zeitpunkt schon lange. Wir wussten, wie viel jede von uns in das Ziel Olympia investiert hatte, dass für jede von uns dieses Erlebnis ein Traum wäre. Es war klar, dass jede für sich und für ihren Traum kämpft. Und es war auch klar: Dieser Kampf auf dem Wasser wird fair und nach den Regeln ausgetragen – damit ist es ein gesunder Kampf. Und niemand wird anschließend sauer sein. Und genauso war es dann bei uns. Wir hatten bis zum Ende Respekt voreinander und konnten uns in der Vorbereitung ganz normal unterhalten. Ich habe sogar bis kurz vor der WM mit Birte, ihrer Segelpartnerin, meinem Mann Malte und seinem Segelpartner in einem Haus gewohnt, und die Stimmung war gut. Zur WM bin ich dann aber ausgezogen, weil Malte und ich uns entschieden hatten, während dieser Zeit getrennt zu wohnen.
Du bleibst beim Segeln in Familie: Bei den Olympischen Spielen in Marseille willst du mit deinem Mann Malte an den Start gehen. Wie ist diese Idee entstanden?
Ich hatte die Idee schon ein bisschen länger, seit es sich herumgesprochen hat, dass der 470er eventuell im Mixed gesegelt wird. Als ich aufhörte, mit meiner damaligen Steuerfrau Fabienne zu segeln, habe ich Malte von meiner Idee erzählt. Seine erste Reaktion: Er hat gelacht, verneint und gesagt: „auf keinen Fall!“. Aber dann hat sich die Situation sehr verändert: Malte konnte sich bei der WM mit seinem Segelpartner nicht für Olympia qualifizieren. Im Mai 2021 wurde dann bekannt, dass der 470er in Paris 2024 mixed gesegelt wird. Malte war sehr enttäuscht von seinem WM- Ergebnis und hat realisiert, dass er noch einen olympischen Zyklus angehen möchte. Und warum lange nach einer suchen, wenn man eine Vorschoterin kennt, die zu den Spielen fährt und zufällig sogar im eigenen Haus wohnt (lacht)? Ja, und dann hat Malte gesagt: „Lass es uns versuchen. Wir sind schon professionell genug, wir werden das überstehen.“
„Immer sehr offen über Probleme reden“
Mit dem Partner zusammen segeln kann zusammenschweißen, aber es birgt auch viel Potenzial für Streit. Wie geht ihr mit dieser Herausforderung um?
Die Schwierigkeit ist, dass man im Rennen und in engen Situationen auf dem Wasser so emotional wird. Wenn der Puls hoch ist, dann ist man ohnehin emotionaler als im normalen Leben. Mit dem Partner verstärkt sich das noch einmal, weil man bei jeder Aussage beispielsweise die Stimmlage bewertet und vieles persönlicher nimmt. Wir arbeiten jetzt mit einem Sportpsychologen an einer Strategie, wie wir auf dem Wasser möglichst frei von Emotionen miteinander sprechen können. Auch lernen wir, die Emotionen, die bei dem anderen beim Segeln entstehen, nicht persönlich zu nehmen. Langsam und in kleinen Schritten gehen wir da voran. Das Gute ist, dass wir immer sehr offen über Probleme reden. Sachen, die uns nicht gefallen, können wir uns an Land direkt sagen, uns erklären und eine gemeinsame Lösung finden. Dann ist die Situation gegessen und danach ist keiner sauer.
Hat das gemeinsame Segeln eure Beziehung verändert? Zum Beispiel, weil ihr jetzt andere Aufgaben übernehmt?
Schwer zu sagen. Viel Veränderung merke ich nicht. Außer vielleicht, wenn wir gemeinsam in einem Trainingslager sind: Da ist es für mich schwieriger umzuswitchen, ich sehe Malte oft eher als meinen Segelpartner und weniger als meinen Familienpartner. Für Malte ist das irgendwie einfacher. Sobald er an Land ist, kann er wieder so sein wie er immer ist. Selbst wenn wir uns gestritten haben, ist es für ihn schnell vergessen. Für mich ist das schwieriger, und ich versuche im Trainingslager daher, ein wenig Abstand zu gewinnen. Aber sobald wir wieder zu Hause sind, sehe ich uns wieder als eine Familie und nicht mehr als Segelpaar. Dann ist alles wieder ganz normal.
Schafft ihr es, auch mal nicht an die Olympiakampagne zu denken?
Ja, zu Hause haben wir auch ständig andere Sachen um die Ohren, und diese anderen Sachen lösen wir schon als eine Familie.
Mit Malte lebst du in Kiel. Vor fast sechs Jahren bist du aus der Ukraine nach Deutschland gekommen. Ist Kiel schon jetzt deine Heimat, würdest du sagen, du bist angekommen?
Teils teils. Ich fühle mich hier schon zuhause und ich freue mich jedes Mal, in unsere Wohnung zurückzukehren. Aber es gibt Sachen, die schon noch ein bisschen anders für mich sind. Wenn ich zum Beispiel in die Ukraine fliege, um meine Freunde zu besuchen, da denke ich mir „oh, eigentlich fühlt es sich hier so richtig wie zuhause an“. Das liegt an den Menschen, an der Mentalität wahrscheinlich… hier in Deutschland fühlt es sich für mich noch nicht so familiär an wie in der Ukraine.
Wo lebt denn deine Familie? Wie häufig kannst du sie sehen?
Meine Mama und meine Oma leben noch in der Ukraine. Während des Krieges haben sie in Russland gelebt, jetzt sind sie zurückgekehrt. Sie leben im Osten der Ukraine, in der Volksrepublik Luhansk, die seit dem Krieg von der Ukraine abgetrennt ist. Ich versuche, meine Familie einmal im Jahr zu besuchen. Das ist sehr wenig, leider… aber wir haben ständigen Kontakt, meistens über WhatsApp, das erleichtert die Situation.
„Jede Minute, die du investierst, lohnt sich“
Die ersten Jahre als Leistungssportlerin hast du im ukrainischen Kadersystem trainiert. Wo liegt für dich der größte Unterschied zwischen beiden Förderungssystemen?
Da sind zum einen die Qualifikationssysteme. In der Ukraine ist der wichtigste Wettbewerb die ukrainische Meisterschaft. Und egal, welche Ergebnisse man bei internationalen Regatten erreicht hat, man muss bei der Ukrainischen Meisterschaft Platz eins oder zwei erreichen, um unterstützt zu werden. In Deutschland ist es anders, hier zählen Ergebnisse der internationalen Regatten. In der Ukraine waren Kadersportler zu meiner Zeit beim Staat angestellt, im Sportministerium. Man hatte ein monatliches Einkommen wie eine ganz normale Angestellte und zahlte auch in die Rentenkasse ein. In Deutschland wirst du als Sportler nur angestellt, wenn du bei der Bundeswehr oder der Polizei bist. Es gibt natürlich auch Sporthilfe-Förderung und die anderen, aber die zählen nicht als Einkommen. Ich möchte nicht bewerten, welches System besser ist oder schlechter. Fest steht, beide Systeme sind sehr unterschiedlich.
Anfang April startet mit der Trofeo Princesa Sofia eure Regattasaison. Was wünscht du dir für eure erste Saison als Team?
Leider haben wir nicht mehr so viele Trainingstage, da Malte als angehender Lehrer gerade sein Pflichtpraktikum in der Schule absolviert. Deshalb habe ich zumindest in diese erste Regatta keine großen Erwartungen. Selbst wenn irgendwas nicht läuft, wäre das normal. Ich wünsche mir, dass wir die Sachen, die wir im November und Dezember schon antrainiert haben, umsetzen können, und dass wir unsere Emotionen im Griff halten können bei dieser ersten Regatta – dass wir uns nicht streiten und keine großen Konflikte haben.
Ein Leben nach dem Segeln – denkst du schon soweit?
Ja, ich habe mir schon ein paar Gedanken gemacht. Da ich Sportwissenschaft studiere, würde ich gerne im Sport- oder Gesundheitsmanagement arbeiten. Im Studium habe ich mich zur Trainerin für Sportgymnastik weitergebildet, trainiere außerdem Tanz und Yoga. Ich kann mir gut vorstellen, später Firmen beim betrieblichen Gesundheitsmanagement zu unterstützen.
Noch einmal der Blick auf die nahe Zukunft: Was nimmst du aus deiner ersten Olympia-Teilnahme mit in die nächste Kampagne?
Eine wichtige Erkenntnis: Man kann nie zu viel trainieren. Auch wenn du in dem Moment vielleicht gar nicht merkst, dass es etwas bringt – jede Minute, die du investierst, lohnt sich. Und es ist wichtig, nicht nur an sich zu glauben, sondern auch etwas zu tun.