Sie segeln im gemischten Doppel in der aktuell schnellsten olympischen Bootsklasse Nacra 17, sind beide Sportsoldaten und ergänzen sich perfekt: Denker und Lenker Paul Kohlhoff und seine dynamisch-athletische Vorschoterin Alica Stuhlemmer sind zurzeit die deutsche Nummer eins im rasanten olympischen Katamaransport.
Bei der Testregatta vor Enoshima segelten sie im August 2019 als Sechste bereits in Medaillennähe. Ein Tagessieg zum Auftakt und das gewonnene Medaillenfinale haben die Crew, die zu den jüngsten in der Nacra-Weltspitze zählt, in den erweiterten Kreis der olympischen Medaillenwärter vordringen lassen. Vor Kohlhoffs möglicher zweiter Olympiateilnahme und Stuhlemmers Premiere unter den fünf Ringen sind noch drei Hürden zu nehmen: Es gilt, bei der WM im Dezember 2019 vor Auckland den noch fehlenden Nationenstartplatz für Deutschland zu sichern, ohne den eine Olympia-Teilnehme nicht möglich ist. Außerdem müssen sie sich wie alle deutschen Olympiasegler in der nationalen Ausscheidung gegen die Konkurrenz im eigenen Land durchsetzen und die Nominierungskriterien des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) erfüllen. Das alles haben sich der 24-jährige Steuermann und seine erst 20 Jahre alte Mitstreiterin fest vorgenommen.
„Keine halben Sachen“
Dass sie nach Kohlhoffs lebensbedrohlicher Hirnoperation im Winter 2017 und der langen Reha-Phase im ersten Halbjahr 2018 schon wieder in Medaillensichtweite segeln, ist dem Kampfgeist und der Willensstärke des Mixed-Teams zuzuschreiben. Kohlhoffs Lebensmotto bringt es auf den Punkt: „Keine halben Sachen.“ Inspiration für seinen Weg hat er sich aus dem Buch „Das Leben ist zu kurz für später“ geholt. Alica Stuhlemmer ergänzt ihre Maxime: „Genieße was du tust.“ Auch das bekannte Dennis-Conner-Zitat „No excuse to loose“ spornt die gebürtige Kielerin an, zu deren Lieblingsbüchern „Der Milliardär und der Mechaniker“ zählt, in dem es um America’s-Cup-Finanzier und Gewinner Larry Ellison, sein Oracle Team USA und seine besondere Beziehung zu einem Mechaniker geht.
Die beiden Kieler Kat-Könner trainieren in Regie von Marcus Lynch. 2017 segelten sie bei der Nacra-17-WM auf Platz fünf und gewannen damit die U23-Weltmeisterschaft. Alica war schon in frühester Kindheit mit den Eltern auf der familieneigenen 31-Fuß-Yacht unterwegs. „Mit sieben Jahren durfte ich dann endlich in den eigenen Opti umsteigen“, erinnert sie sich. Ihrem Steuermann ist sie dankbar dafür, „dass er mich mit dem Nacra-Virus infiziert und mir diese aufregende Abkürzung vom Jugend- zum olympischen Segel ermöglicht hat“.
Beide Segler sind wie so viele Olympioniken in diesem komplexen Sport in stark engagierten Segel-Familien aufgewachsen. Patrick Böhmer und Rigo de Nijs waren im heimischen Kieler Yacht-Club die Trainer, die Alica Stuhlemmer am meisten geprägt haben. Kohlhoff wurde im selben Verein groß. Der Nacra 17 reizt den 1,87 Meter großen Steuermann, „weil der die technisch am weitesten entwickelte Bootsklasse ist und ich mit Alica segeln kann“. Die Allround-Fähigkeiten, die der foilende Nacra 17 seinen Bändigern abfordert, interpretieren die beiden Schleswig-Holsteiner als hochattraktive Herausforderung.
Olympische Spiele bedeuten beiden Akteuren „alles“. Alica Stuhlemmer sagt: „Ich kann mich nicht erinnern, wann ich angefangen habe, davon zu träumen. Die Spiele jetzt in greifbare Nähe rücken zu sehen, das ist unglaublich.“ Das hochgesteckte Ziel definiert Kohlhoff unmissverständlich: „Im zweiten Anlauf die Medaille gewinnen.“ 2016 war er in Rio de Janeiro mit einem Last-Minute-Ticket als jüngster Steuermann und noch mit Carolina Werner auf Platz 13 gesegelt, hatte sein Team anschließend mit Alica Stuhlemmer neuformiert. Das Duo Kohlhoff/Stuhlemmer weiß um seine Stärken – und die eine kleine Schwäche. Sie arbeiten hart daran, ihre Leichtwind-Defizite zu eliminieren. Bei starken und mittleren Winden agieren sie schon mit den Besten auf Augenhöhe.
Das Olympiarevier beschreibt Kohlhoff als „vielseitiges Revier für Alleskönner“, in dem man sich gut anpassen können müsse. Stuhlemmer formuliert ähnlich: „Du musst einfach in allen Bedingungen stark sein.“ Der gemeinsame Wille, ihr Segel-Spiel für Olympia zu perfektionieren, spornt die KYC-Crew auf Kurs Tokyo und Enoshima 2020 an. Beide tippen auf zwei Medaillen für die Segelnationalmannschaft bei den Olympischen Spielen im kommenden Jahr. Wozu sie liebend gerne selbst beitragen möchten. Nicht nur, weil es ihr großer Traum ist, sondern auch, weil beide zu jenen deutschen Top-Seglern zählen, die den Segelsport idealerweise zum Beruf machen wollen. Im Visier haben sie dafür den America’s Cup oder auch den GC32-Circuit.
Steckbrief: Paul Kohlhoff
Position: Steuermann
Bootsklasse: Nacra 17
Geboren: 26. Juni 1995
Geburtsort: Bremen
Wohnort: Kiel
Verein: Kieler Yacht-Club
Trainer: Marcus Lynch
Als Crew in einem Boot seit: 2017
Größe: 1,87 Meter
Gewicht: 85 Kilogramm
Beruf: Sportsoldat
Sponsoren: Stolz, M&P, Immac, Beetz, Diamond, LSV, SVSH, GST, Sporthilfe, Bundeswehr, Kieler Sporthilfe, Kieler Yacht-Club
Steckbrief: Alica Stuhlemmer
Position: Vorschoterin
Bootsklasse: Nacra 17
Geboren: 24. August 1999
Geburtsort: Kiel
Wohnort: Altenholz
Verein: Kieler Yacht-Club
Trainer: Marcus Lynch
Als Crew in einem Boot seit: 2017
Größe: 1,60 Meter
Gewicht: 63 Kilogramm
Beruf: Sportsoldatin
Sponsoren: Stolz, M&P, Immac, Beetz, Diamond, LSV, SVSH, GST, Sporthilfe, Bundeswehr, Kieler Sporthilfe, Kieler Yacht-Club