Die Aufsteigerinnen: MARLA BERGMANN und HANNA WILLE im 49er FX

Am Sonntag beginnen die olympischen Segelwettbewerbe in Marseille und das German Sailing Team geht in allen 10 Disziplinen mit einer beeindruckenden Mannschaft an den Start.
Um die Wartezeit etwas zu verkürzen, stellen wir hier jeden Tag zwei Segler*innen bzw. Teams vor – in der Reihenfolge, in der sie auch in Marseille an den Start gehen.

Die Aufsteigerinnen: MARLA BERGMANN und HANNA WILLE im 49er FX

Eben noch starke Nachwuchstalente auf dem Weg nach oben, jetzt als eine der jüngsten Crews der internationalen Skiff-Elite auf Kurs Marseille: Marla Bergmann und Hanna Wille vom Mühlenberger Segel-Club steuern ihrer Olympia-Premiere im 49er FX entgegen. Ihr Aufstieg verlief seit WM-Gold bei den U21-Juniorinnen 2021 rasant.

Marla Bergmann und Hanna Wille sind die erste Crew in der Geschichte des Mühlenberger Segel-Clubs am Hamburger Elbstrand, die sich für Olympische Spiele qualifiziert hat. Dafür wurden sie von ihrem Verein mit einer der größten Opti-Abteilungen Deutschlands schon gefeiert, als sie den noch fehlenden 49er-FX-Nationenstartplatz bei der Last Chance Regatta in Hyères für Deutschland gesichert hatten. Zu den ersten Gratulantinnen aus der Ferne zählte die olympische Silbermedaillengewinnerin Tina Lutz, die den Nachfolgerinnen gleich noch das Japan-Boot zum Training vor Kiel anbot.

Die 22-jährige Steuerfrau Marla Bergmann und ihre 23-jährige Vorschoterin Hanna Wille sind seit ihrer Kindheit Freundinnen. Sie gingen nach dem Umzug der Bergmann-Familie von Berlin nach Hamburg ab dem zweiten Schuljahr in der „schiffigen“ Gorch-Fock-Grundschule in Hamburg-Blankenese und später auch auf dem Gymnasium in dieselbe Klasse. Beide waren als Achtjährige ins MSC-Optisegeln eingestiegen, erlernten ihr Handwerk auf dem Mühlenberger Loch im anspruchsvollen Tidenstrom der Elbe. Mit den befreundeten Eltern erlebten sie Ferientörns; damals schrieben die späteren Speed-Liebhaberinnen frech mit Edding auf die betagte Charter-Yacht: „Segelt ihr noch oder wohnt ihr schon?“

Dass sie das Zeug zu mehr haben, fanden Marla Bergmann und Hanna Wille 2017 bei der Warnemünder Woche heraus, als sie bei ihrer ersten gemeinsamen 420er-Regatta auf Anhieb Zehnte wurden und sich für die U17-Europameisterschaft qualifizierten. „Wir haben uns darüber so sehr gefreut. Davon wollten wir mehr“, erinnert sich Hanna Wille lebendig an diese Initialzündung. Zunächst aber verbrachte Marla Bergmann ein Auslandsjahr im kanadischen Vancouver. Nach ihrer Rückkehr setzten die Freundinnen ihren Weg fort.

Nach teilweise auch getrennten Ausbildungsjahren im 420er und Marla Bergmanns 29er-Erfahrungen in Vancouver, entschieden sich die MSC-Eigengewächse für eine vereinte Leistungssportkarriere im olympischen Frauen-Skiff 49er FX. Bei der Junioren-WM 2019 erfüllen sie die Kriterien zur Aufnahme in den DSV-Nachwuchskader. Ihr Abitur meisterten sie im Corona-Jahr 2020 neben dem Sport mit 1,8 (Marla) und 1,7 (Hanna) souverän.

Den darauffolgenden Winter 2020/2021, in dem Marla Bergmann ihren Bundesfreiwilligendienst in der Kieler Lubinus-Klinik leistet und Hanna Wille ins Biologie-Studium durchstartet, erinnern sie als „brutalste Zeit“: In eisiger norddeutscher Kälte trainieren die jungen Frauen in halbstündigen Einheiten unermüdlich auf der frostigen Förde. Den Lohn für die Trainingsintensität kassieren sie direkt beim ersten Weltcup 2021. „Wir hatten keine Ahnung, wo wir standen – und sind Zweite geworden“, erinnert Marla Bergmann an den vielversprechenden Senkrechtstart in die Saison. Von Junioren-Wettbewerben verabschieden sie sich im selben Jahr mit Gold bei der U21-WM und Bronze in der U23-Wertung.

Inzwischen sind Marla Bergmann und Hanna Wille in der 49er FX-Weltklasse angekommen. Das Skiff der Frauen setzt sich aus dem gleichen Rumpf wie beim 49er der Männer, aber einem reduzierten Rigg mit kürzerem Mast und kleinerer Segelfläche zusammen. „Unter den Guten im 49er FX zählen wir zu den eher Leichten“, ordnet Marla ihr Team im Bereich Gewicht ein. Mittlere Winde fordern das GER-Duo, das sowohl in leichteren als auch in starken Winden herausragend agieren kann. Ab etwa 16 Knoten müssen alle, auch die schwereren Crews, depowern“, erklärt Hanna Wille das Szenario. Leichtere Crews müssen ihr Großsegel bei zunehmendem Wind etwas früher aufmachen, haben dafür aber Vorteile in schwächeren Winden. „Uns würde es vielleicht am besten tun, wenn von allen Winden etwas kommt“, sagt Marla Bergmann lächelnd. Die Chancen dafür stehen im vielseitigen Marseille-Revier nicht schlecht.

Ihre Olympia-Qualifikation stufen die beiden von ihren Familien und dem Verein intensiv unterstützten jungen Seglerinnen hoch ein. „Es ist so viel wert, für Deutschland bei den Olympischen Spielen starten zu dürfen. Der Stellenwert, den diese Leistung hierzulande hat, der ist enorm“, sagt Marla Bergmann, die mit Schweizer Mutter auch für die Eidgenossen starten könnte. Hanna Wille erklärt das beflügelnde Gefühl: „Jeder weiß jetzt, dass du in Deutschland zu den Besten gehörst.“ Ihr Boot haben sie einst auch gewählt, sagt Hanna, „weil wir nicht sitzen, sondern nebeneinander im Trapez stehen können. Es ist ein so schönes Gefühl, wenn das Boot ins Gleiten kommt.“ Marla erinnert sich: „Als wir das erste Mal in Hyères in Winden jenseits der 20 Knoten unterwegs waren, hat das unfassbar viel Spaß gemacht.“

Weil sie sich so gut kennen, wissen sie sich sehr gut einzuschätzen und Synergieeffekte aus ihren komplementären Eigenschaften zu ziehen. Marla Bergmann sagt: „Hanna ist nicht ehrgeiziger als ich, pusht aber mehr und holt dann auch das Beste aus mir heraus. An Land kann sie ihre Ellbogen etwas besser ausfahren als ich. Und sie ist immer voller positiver Energie.“ So rückten sie bis auf Platz sieben der Weltrangliste vor. Tendenz: steigend. Beim Segeln gibt Hanna viel Input, Marla trifft die taktischen Entscheidungen. Über ihre Steuerfrau sagt Hanna Wille: „Ich schätze an Marla ihren Weitblick, ihren Überblick und ihre gute Planung. Da ist sie viel besser als ich. Ich bin ein eher chaotischer Mensch, sie ist die Ordnung.“ Gegenseitig attestieren sich die als starke Starterinnen bekannten Deutschen „ein unglaublich gutes Gefühl beim Segeln“.

Bei ihrer Olympia-Premiere bekommen es die deutschen Aufsteigerinnen mit den Großkalibern des internationalen Skiff-Segelns zu tun. Doch konnten sie alle schon bezwingen. Das gilt für die brasilianischen Doppel-Olympiasiegerinnen Martine Grael und Kahena Kunze ebenso wie für spanische Olympiasiegerin und Ocean-Race-Weltumseglerin Tamara Echegoyen mit Paula Barceló. Es gilt für die italienischen Weltranglisten-Ersten Jana Germani/Giorgia Bertuzzi wie für die Weltmeisterinnen Odile van Aanholt/Annette Duetz aus den Niederlanden oder die schwedischen Vize-Weltmeisterinnen Vilma Bobeck und Rebecca Netzler.

Marla Bergmann und Hanna Wille nehmen in der Olympia-Saison nach Platz fünf beim Spanien-Klassiker Trofeo Princesa Sofía und Platz drei bei der Last Chance Regatta im Aufwärtstrend mit erfrischender Dynamik Kurs auf die Bucht von Marseille. Sie wollen aus der mit DSV-Trainer Tom Saunt erarbeiteten Chance und mit ihrem neuen 49er FX „Merci“ vom 28. Juli bis zum 1. August auf dem olympischen Regattakurs die Spiele ihres Lebens machen. Marla Bergmann sagt: „Die Underdog-Rolle ist für uns nicht schlecht. Wir werden alles geben, um bei den Spielen vorn mit dabei zu sein.“

 

Marla Bergmann

Position: Steuerfrau

Geboren: 16. September 2001

Geburtsort: Berlin

Wohnort: Kiel

Trainer: Tom Saunt

Verein: Mühlenberger Segel-Club

Größe: 1,70 Meter

Beruf: Sportsoldatin, Medizin-Studentin

 

Hanna Wille

Position: Vorschoterin

Geboren: 27. Januar 2001

Geburtsort: Hamburg

Wohnort: Kiel

Trainer: Tom Saunt

Verein: Mühlenberger Segel-Club

Größe: 1,69 Meter

Beruf: Sportsoldatin, Biologie-Studentin

Alle Fotos: DSV/Felix Diemer