Die Taktikerin: JULIA BÜSSELBERG im Ilca 6

Am Sonntag beginnen die olympischen Segelwettbewerbe in Marseille und das German Sailing Team geht in allen 10 Disziplinen mit einer beeindruckenden Mannschaft an den Start.
Um die Wartezeit etwas zu verkürzen, stellen wir hier jeden Tag zwei Athlet*innen bzw. Teams vor – in der Reihenfolge, in der sie auch in Marseille an den Start gehen.

Sie hat für ihre Olympia-Premiere gekämpft – und sich mit Unterstützung des Deutschen Segler-Verbands durchgesetzt: Julia Büsselberg startet bei ihren ersten Olympischen Spielen im Ilca 6 für Team D. Neben 470er-Vorschoterin Anna Markfort ist sie eine von zwei Berlinerinnen in der Segel-Equipe für Paris 2024. Für die 24-Jährige vom Vereim Seglerhaus am Wannsee geht damit ein Lebenstraum in Erfüllung.

Die Taktikerin: JULIA BÜSSELBERG im Ilca 6

Die Mathematik und der Segelsport sind zwei Geraden, die Julia Büsselbergs Leben stark prägen – und sich manchmal auch kreuzen. Schon im Kindergarten rechnete sie ihrer Mutter an der Kasse detailgenau vor, dass sie sich das begehrte Spielzeug von ihrem Taschengeld leisten konnte. Heute studiert Julia Büsselberg Mathematik an der Fernuni Hagen. Im Segeleinsatz ist sie parallel rund um die Welt.

Oftmals profitiert die 24 Jahre junge Berlinerin dabei in ihrem 4,23 Meter langen und 1,37 Meter breiten Boot von ihrem mathematischen Verständnis. Lächelnd sagt sie: „Mathe hilft beim Segeln. Ich kann ganz gut Kopfrechnen. Segeln ist am Ende wie Geometrie auf dem Wasser. Es hilft, wenn man sich Winkel vorstellen kann. Ich habe einen Blick dafür entwickelt, wie ich etwa den Kurs zur nächsten Marke quasi in Parallelogramme übersetze.“

Auf diese Weise kann Julia Büsselberg oft den kürzesten Weg zur nächsten Tonne finden. Solche Herausforderungen sind für sie Teil der Faszination, die ihre Bootsklasse Ilca 6 auf sie ausübt. Wie der von Teamkamerad Philipp Buhl gesegelte Ilca 7, ist auch die Einhandjolle für Frauen im Vergleich zu olympischen Hightech-Geschossen wie dem foilenden Nacra 17 ein eher langsames Boot. Weshalb in den oft engen Auseinandersetzungen die Taktik eine wichtige Rolle spielt.

Julia Büsselbergs Liebeserklärung an den Ilca 6: „Ich mag mein Boot! Ich mag, dass es relativ langsam und daher taktischer ist. Ich mag es nicht so sehr, wenn sich unser Sport im Bootsbau verliert, sondern es im Wettkampf bei Entscheidungen eher darauf ankommt, noch eine Minute länger zu hängen als die anderen.“ Der Ilca 6 fordert seine Steuerfrauen physisch stark. Julia Büsselberg weiß: „Es sind schon Schmerzen, wenn die Muskeln in den Beinen brennen. Beim Aufwärmen fühlt man die Schmerzen am stärksten, weil das Adrenalin da noch nicht so hoch ist. Wenn die Muskeln dann warm werden, werden sie müde. Aber müde ist nicht gleich Schmerz.“ Für ihre Olympia-Premiere im mit 43 Starterinnen größten Marseille-Feld hat Julia Büsselberg auch deshalb hart im Kraftraum und am Ruder-Ergometer trainiert.

Das puristische Ilca-Segeln kommt ihr entgegen. Hier kann sie mit Kopf und Körper im bevorzugten Solo arbeiten. „Ich wollte nach meiner Opti-Zeit gerne allein im Boot segeln, habe das Abstimmen und Festlegen gemeinsamer Ziele in einer Crew nie vermisst. Mein Boot macht mir sehr viel Spaß beim Segeln“, sagte sie heute. „Richtig Laune“ machen ihr „Vorwind-Ritte bei Welle“ und „die hohe Dichte, der harte Wettbewerb“ im mit 43 Ilca-6-Starterinnen größten olympischen Frauen-Feld.

In der Bucht von Marseille werden mit der dänischen Olympiasiegerin Anne-Marie Rindom und Marit Bouwmeester, die unter Rios Zuckerhut triumphierte und mit Gold (2016), Silber (2012) und Bronze (2021) einen kompletten olympischen Edelmetallsatz beisammen hat, die beiden Ilca-6-Königinnen des vergangenen Jahrzehnts wieder am Start sein. In Einzelrennen hat Julia Büsselberg beide schon öfter geschlagen. Als die Steuerfrau vom Verein Seglerhaus am Wannsee 2021 mit Platz fünf bei der WM im Oman ihre bestes Karriereergebnis feierte, fehlte ihr in der Gesamtwertung nur ein Punkt zu Rindoms viertem Platz, nur wenig mehr zum Sprung aufs Podium. Bei Olympia will die junge Deutsche in diesem Sommer die neun Jahre ältere Dänin, die zwölf Jahre ältere Niederländerin sowie weitere Top-Akteurinnen maximal fordern.

Großgeworden ist Julia Büsselberg in einer Segelfamilie, in der ihr Vater früher 15er- und 20er-Jollenkreuzer auf dem Steinhuder Meer segelte, die Mutter bei einer Regattaparty kennenlernte und beide später mit der Tochter auch auf der Varianta vom Opa unterwegs waren. Gelernt hat Julia Büsselberg das Segeln dann erst im Berliner Havel-Club. Seit zwölf Jahren ist sie Mitglied im Verein Seglerhaus am Wannsee.

In der Olympiamannschaft des German Sailing Teams fühlt sich Julia Büsselberg wohl. „Sportdirektorin Nadine Stegenwalner und das Team haben mich mit offenen Armen empfangen. Die Stimmung ist gut, wir sind viele Newcomer. Ich glaube, dass wir mit guten Chancen antreten“, sagt die vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) auf DSV-Antrag nachnominierte Julia Büsselberg. Dass ihr die direkte Qualifikation für die Olympischen Spiele bei der verunglückten WM nicht auf Anhieb gelang, wo sie zunächst mit einem Rennsieg eingestiegen war, aber im Verlauf der Serie aus dem Tritt kam, ist verschmerzt. Dabei half kurz vor Olympia auch der Blick auf die Weltrangliste, wo Julia Büsselberg im Juni hinter Maria Erdi aus Ungarn und Anne-Marie Rindom und noch vor Marit Bouwmester auf Platz drei lag. „Das würde ich für Olympia nehmen“, sagt sie lächelnd.

Einen Vorgeschmack auf den olympischen Wettbewerb hat Julia Büsselberg schon gewonnen. „Ich erinnere mich, dass die Aggressivität beim Testevent 2023 eine andere war als sonst. Manche sind sehr stark in Zweikämpfe eingestiegen, es gab mehr Proteste“, weiß sie noch. Das Olympiarevier kommt ihr entgegen: „Die drehenden Winde bieten viele Chancen. Mir gefällt das Revier, ich mag die Abwechslung, die Dreher, die es aufgrund der Uferformation bei fast jeder Windrichtung bietet. Damit bin ich in Berlin großgeworden – nur jetzt aufs Mittelmeer übertragen.“ Ihre bekannte Leichtwindstärke, mit der sie bei ihrem WM-Erfolg vor drei Jahren fast die gesamte Weltelite entzauberte, hat Julia Büsselberg inzwischen durch ein breiteres Spektrum ersetzt: „Ich kann inzwischen allround in allen Bedingungen performen. Bei Starkwind gehöre ich auch zu denen, die den Kopf oben behalten und nicht blind in eine Ecke ballern.“

Wie die olympische Regatta für die Ilca-6-Seglerinnen wirklich ausgeht, wird sich vom 1. bis zum 6. August erweisen. Julia Büsselberg empfindet es als „große Ehre und Chance“, dabei sein zu dürfen: „Ich habe ziemlich viel Vorfreude und versuche, ganz viel positive Energie aufzubauen. Ich brauche für die olympische Woche die richtige Mischung aus Lockerheit und Seriösität. Mein Ziel ist es, Spaß zu haben, das Event zu leben und möglichst erfolgreich nach Hause zu kommen.“

 

Julia Büsselberg

Position: Steuerfrau

Geboren: 9. Mai 2000

Geburtsort: Berlin

Wohnort: Berlin

Verein: Verein Seglerhaus am Wannsee

Größe: 1,69 Meter

Beruf: Mathematik-Studentin

 

Alle Fotos: DSV/Felix Diemer